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Sofonisba Anguissola - Meisterin der Renaissance

Wenn die fehlende Konvention zur persönlichen Norm wird

ARTIKEL: MARCO ANTONIO RICCI / Kunsthistoriker und Kunstvermittler


Sofonisba Anguissola, Selbstbildnis, 1554, Öl auf Pappelholz, 19,5 cm × 14,5 cm (Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie © KHM-Museumsverband)

Selbstzeugnis einer selbstbewussten Künstlerin

Bei dem Selbstbildnis aus dem Jahr 1554 dürfte es sich um das früheste erhaltene der Künstlerin handeln. Das kleinformatige Gemälde zeigt die ungefähr 22-jährige als Bruststück vor einem grünlichen Hintergrund. Kopf und Oberkörper sind in einer klassischen Dreiviertelansicht gegeben mit entsprechender leichter Verschattung ihrer linken Gesichtshälfte. Der Blick ist streng frontal auf den Bildbetrachter gerichtet, ein Charakteristikum vieler Künstlerselbstporträts. Die blonden Haare trägt sie in der Mitte gescheitelt nach hinten gebunden. Auffallend ist das eher unprätentiöse schwarz-braune Wams, das den strengen Bildeindruck zu verstärken scheint. Wichtigstes Attribut ist das demonstrativ in ihrer Linken aufgeschlagene Büchlein mit der lesbaren lateinischen Signatur der Künstlerin: Sophonisba Angussola Virgo seipsam fecit 1554. Die Übersetzung lautet: Sofonisba Anguissola, Jungfrau, hat dies selbst gemacht 1554. Dieses Bildelement weist sie als humanistisch gebildete Künstlerin aus. Dass Anguissola sich als Jungfrau bezeichnet, hat sowohl mit der wörtlichen Bedeutung als auch der Tatsache zu tun, dass Plinius und Boccaccio in ihren Schriften von einer berühmten antiken Malerin und selbstverschriebenen Jungfrau berichten. Mit dieser identifiziert sich Anguissola über diesen Zusatz. Der Ausdruck der Strenge, Offenheit und Emotionslosigkeit bekommt durch diese Anspielung eine enorm wichtige inhaltliche Dimension. Wir haben es hier mit einer intellektuellen, fokussierten Künstlerin zu tun, die über ihre Arbeit aber auch ihr Geschlecht wahrgenommen werden möchte. Selbst- und Fremdbild der Künstlerin sollen durch dieses Selbstporträt in Deckung gebracht werden.

Wer war Sofonisba Anguissola?

Wir bleiben mit unserem zweiten Beitrag in der Lombardei und derselben Dekade des 16. Jahrhunderts. Er behandelt die bekannteste weibliche Künstlerin der Renaissance, Sofonisba Anguissola. Geboren wurde sie zwischen 1531/35 in Cremona und starb 1625 hochbetagt und geachtet in Palermo. Die Tochter des Patriziers und Humanisten Amilcare Anguissola bekam gemeinsam mit ihren fünf Schwestern eine fundierte Ausbildung in Literatur, Kunst und Musik. Da der Vater nur mäßig begütert war und in Sachen Aussteuer mit reicheren Familien nicht mithalten konnte, machte er kurzerhand aus der Not eine Tugend und glich so dieses Manko aus. Es sollte sich bald herausstellen, dass seine älteste Tochter Sofonisba die begabteste seiner Töchter war und er begann sie regelrecht zu managen.

Making of a Female Star

Anguissola erhielt Malunterreicht bei zwei der angesehensten Künstlern Cremonas, Bernardino Campi und Bernardino Gatti. Campi unterrichtete sie in seinem Spezialgebiet, der Porträtmalerei, interessanterweise aber nicht in Komposition, Perspektive und Freskomalerei. Daher ergab sich zwangsläufig die Fokussierung ihres Oeuvres auf Porträts und damit einhergehend gewisse perspektivische Schwächen in manchen ihrer Bilder. Sie dürfte übrigens im Zeitraum zwischen Dürer und Rembrandt die meisten Selbstbildnisse geschaffen haben, darunter wahre Pionierwerke der Kunstgeschichte, wie Bilder, die sie bei der Arbeit zeigen, vor der Staffelei sitzend mit dem Pinsel in der Hand. Ein anderes Werk, das ihre Schwestern Lucia und Minerva beim Schachspiel zeigt, gilt als das früheste Genrebild Italiens. Giorgio Vasari, der erste Kunsthistoriker Europas, lobte 1568 dieses Gemälde in der zweiten Ausgabe seiner Vite. Sofonisba stand in einem derartig guten Ruf, dass sogar Michelangelo über ihren Vater mit ihr in Kontakt stand.

Ein bewegtes und langes Leben

So wurde sie 1559 als Hofdame und -malerin an den spanischen Königshof berufen. Von daher gibt es dementsprechend viele Porträts der spanischen Habsburger, das wichtigste wohl das Bildnis Philipps II., das sich heute im Prado in Madrid befindet. In ihrer Tätigkeit in Madrid brachte sie Elisabeth von Valois, der französischen Ehefrau des Königs, das Malen bei und wurde deren Vertraute. Nach dem Tod von Elisabeth wurde sie mit dem sizilianischen Adeligen Fabrizio di Moncada verheiratet und folgte diesem nach Palermo. Da ihr erster Ehemann unerwartet früh bei einem Unglück starb, wollte Anguissola ursprünglich wieder nach Spanien an den Hof Philipps II. zurück, begegnete aber auf dem Weg dorthin dem Genueser Adeligen Orazio Lomellini, mit dem sie schließlich durchbrannte. Sie heiratete ihn 1579 - allerdings im Geheimen. Mit ihm lebte sie eine Zeit lang in Genua, wo Peter Paul Rubens sie besuchte. 1615 übersiedelte das Ehepaar nach Palermo, wo sie ein Jahr vor ihrem Tod von Anthonis van Dyck gezeichnet wurde. Zu diesem Zeitpunkt galt sie bereits als lebende Legende, war allerdings beinahe erblindet.

Eine unter vielen?

Am Ende möchte ich kurz der Frage nach der Präsenz weiblicher Malerinnen in der Renaissance und im Barock nachgehen. Um die Frage vorab zu beantworten, es gab sie zwar, nur stellten die männlichen Berufskollegen die absolute Mehrheit. Was zeichnete nun die Angehörigen der weiblichen Minderheit aus? Dass sie im buchstäblichen Sinne Ausnahme-Künstlerinnen waren: Töchter von humanistisch gebildeten Vätern und fallweise auch Müttern, die ihren Kindern eine gute Ausbildung angedeihen lassen wollten, wie in unserem Fall. Töchter von Vätern, die ihrerseits bereits etablierte Maler waren und offen genug, das Talent ihrer weiblichen Sprösslinge zu fördern und sie nicht auf stereotype Rollenbilder zu reduzieren (Lavinia Fontana, Marietta Robusti „La Tintoretta“, Artemisia Gentileschi usw.). Daneben gab es auch einige Künstlerinnen in Klöstern, ein oft übersehener Aspekt der Kunstproduktion dieser Epochen. Um zu unserem kleinen Selbstbildnis zurückzukommen, sei hier am Schluss ganz kurz die Provenienz skizziert. Ursprünglich gehörte es nicht zum Bestand der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums, sondern dem der Kunst- und Wunderkammer: Das Selbstporträt der berühmtesten Malerin im 16. Jahrhundert konnte patriarchal gedacht nur ein Wunder sein.