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Porträtmaler Giovanni Battista Moroni

Ein Ausnahme-Porträtist der Renaissance

ARTIKEL: MARCO ANTONIO RICCI / Kunsthistoriker und Kunstvermittler


Giovanni Battista Moroni, Der Bildhauer Alessandro Vittoria (1525-1608), um 1552/53, Öl auf Leinwand, 87,5 cm × 70 cm (Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie © KHM-Museumsverband) 

Porträt des Alessandro Vittoria

Das Porträt des Bildhauers Alessandro Vittoria (1525-1608) dürfte anlässlich eines Aufenthalts der beiden Künstler in Trient um 1552/53 entstanden sein. Vittoria stammte aus Trient und arbeitete sich nach einer Lehre bei Jacopo Sansovino in weiterer Folge zum wichtigsten Bildhauer Venedigs hinauf. Moroni stellt seinen ungefähr gleichaltrigen Künstlerkollegen am Anfang seiner Bildhauerkarriere als Halbfigur seitlich stehend dar, der Kopf ist in einer Dreiviertelansicht gegeben. Der Blick hingegen ist nicht frontal auf uns, sondern leicht diagonal nach rechts auf einen imaginären Ansprechpartner gerichtet. Dieser Umstand entrückt die Figur in eine überzeitliche, ideelle Sphäre und macht die Bildbotschaft zu einer allgemein gültigen. Wir als Bildbetrachter sind zwar Zeugen dieser „Ansprache“ aber nicht unbedingt die direkten Adressaten. Die Figur ist diagonal in das rechteckige Bildformat eingespannt und füllt dieses weitgehend aus. Ein äußerst wichtiges Bildelement ist der antike männliche Torso aus weißem Marmor. Er ist der Verweis auf den Beruf des Dargestellten im Zeitalter der Wiedergeburt der Antike, der Renaissance. Demonstrativ hält Vittoria ihn fest in seinen Händen und veranschaulicht damit, dass er seine Kunst meisterhaft beherrscht. Gleichzeitig steht die kleine männliche Figur auch für Vittorias Kreativität, die in der Renaissance noch für eine rein männliche Domäne gehalten wurde.

 

Dieser Gestus dürfte nicht einer impliziten Programmatik entbehren. In diesem Zusammenhang kann man durchaus so weit gehen und bei diesem Porträt von einem Programmbild sprechen, das sich auf die beginnende Karriere Vittorias als Bildhauer positiv auswirken sollte (Vittoria ließ sich übrigens nicht nur von Moroni, sondern später auch von Paolo Veronese und Palma il Giovane malen). Auch die aufgekrempelten Ärmel sowie das schwarze Arbeitsgewand weisen auf das zu Leistende und den Schaffensprozess hin. Dieses implizit aktive Element zeichnet dieses Werk Moronis aus. In einer Zeit, in der manuelle Arbeit noch in Verruf stand, adelt die künstlerische Arbeit den Bildhauer. Einige wenige Künstler schafften es im 16. Jahrhundert ungeachtet der Tatsache, dass sie mit ihren Händen arbeiteten, tatsächlich geadelt zu werden. Tizian, eines der Vorbilder Moronis, beispielsweise wurde durch Kaiser Karl V zum Ritter geschlagen. Die seidig glänzende, schwarze Gewandstruktur konterkariert den Charakter des Gemäldes als „Berufsporträt“. Der diffuse Lichteinfall von links oben scheint - abgeschwächt aber doch - Caravaggio um fast 50 Jahre vorwegzunehmen, ebenso das dezent vorhandene Chiaroscuro (Hell-Dunkel-Malerei). Die farblichen Werte rangieren Großteils zwischen Weiß und Schwarz mit vielen Mitteltönen, die vor allem im Hintergrund auszumachen sind. Es gibt nur einige wenige sparsamst eingesetzte buntfarbige Akzente, wie die zinnoberrot gemalten Saumnähte des weißen Hemdes, die ein leises Echo in den Lippen Vittorias finden während das Bleiweiß des Hemdes wieder mit dem Weiß des Torsos korrespondiert, ganz im Sinne einer chromatischen Resonanz.

Wer war Moroni?

Abseits der bekannten Popikonen der italienischen Renaissance gibt es viele weniger bekannte, aber hervorragende Künstler, die oft nur Insidern bekannt sind. Einem dieser Ausnahme-Künstler, Giovanni Battista Moroni, ist unser erster Beitrag gewidmet. Moroni wurde zwischen 1520/24 in Albino geboren und starb um 1578 in Bergamo. Er gilt mittlerweile als einer der wichtigsten Porträtmaler überhaupt.

Zwischen Mailand und Venedig

Die Heimat Moronis, die Lombardei, lag damals politisch wie künstlerisch im Einflussbereich der beiden Metropolen Mailand und Venedig. Der Schatten Leonardos und Tizians hing so ziemlich über allem, was hier im 16. Jahrhundert gemalt wurde. Darüber hinaus griff man - nicht zuletzt wegen der geographischen Nähe – oft auch auf kreative Ideen Nordeuropas zurück. 

Im Schatten der Titanen

Nun war gerade die italienische Porträtmalerei des 16. Jahrhunderts von einer Spannung zwischen Idealisierung und einem ausgesprochenen Hang zum Naturalismus geprägt. Leonardo da Vinci beispielsweise, der viele Jahre im nahen Mailand gearbeitet hatte, prägte selbst nach seinem Tod 1519 mit seiner Idealisierung der menschlichen Figur Generationen von lombardischen Künstlern. Auf der anderen Seite war die Malerei Venedigs von einer starken Akzentuierung des Stofflichen und Atmosphärischen geprägt. Hier waren allen voran Tizian, Paolo Veronese und Tintoretto tonangebend.

Moroni und die Schule von Brescia

Ungefähr zwischen diesen beiden Polen in Brescia wurde Moroni in der Werkstatt des Moretto da Brescia (um 1498-1554) zum Maler ausgebildet. Akademien gab es damals noch keine: wer Maler werden wollte, musste bei einem etablierten Meister in die Lehre gehen. Neben Moretto kamen auch zwei andere bekannte Maler aus Brescia, Romanino (um 1458-1566) und Giovanni Girolamo Savoldo (um 1480/85-nach 1548). Gerade was Moronis Naturalismus anbelangt, dürfte Savoldo einen maßgeblichen Einfluss auf Moroni ausgeübt haben. Dass der später lebende Caravaggio ebenfalls Lombarde war, ist angesichts dieser Vorläufer sicher kein Zufall.

Ein Werk mit einem starken Fokus auf Porträts

Moronis erhaltenes Oeuvre beläuft sich auf ca. 230 Gemälde. Den Löwenanteil darunter stellen mit 130 Bildern seine Porträts, während weitere 100 Werke religiöse Sujets darstellen (die qualitativ bei weitem nicht mit seinen Porträts mithalten können), nur 2 hingegen sind mythologischen Inhalts. Moroni galt als der wichtigste Künstler Bergamos und porträtierte unzählige lokale Persönlichkeiten, Bürgerliche wie Adelige gleichermaßen. Einen überregionalen Ruf genoss er nur aufgrund dieser außerordentlichen Porträts. Gelegentlich soll sogar Tizian im fernen Venedig Interessenten auf Moroni verwiesen haben, wenn diese Porträts wollten, da dieser sie „al vero“ also wirklichkeitsgetreu malte.

Warum uns diese Porträts auch heute noch ansprechen

All die hier beschriebenen Facetten zeigen, dass nichts in diesem Gemälde beiläufig oder gar zufällig, sondern auf kunstvolle Weise konstruiert und arrangiert den Eindruck von Willens- und Schaffenskraft sowie Selbstbewusstsein generieren soll. Damit kommen wir auch zum eigentlichen Besonderen der Porträtkunst Moronis, sie ist überaus sinnlich und haptisch, ohne im eigentlichen Sinne zu beschönigen oder zu idealisieren. Andererseits wirken viele seiner Porträts natürlich, sind aber bewusste Inszenierungen, ohne dies vordergründig zu zeigen. Diese Subtilität und psychologische Tiefe machen sie neben einer starken Individualisierung der Dargestellten gerade für uns moderne Bildbetrachter attraktiv.